Teil 3: Vom Wandervogel zur bündischen Jugend
Mit der Zäsur des 1. Weltkriegs änderten sich maßgebliche Dinge für die Jugendbewegung. Die jungen Soldaten kehrten frustriert in ihre Heimat zurück und mussten tatenlos zusehen, wie Deutschland durch die Siegermächte aufs schlimmste gedemütigt und ausgepresst wurde. Aber gerade bei den Pfadfindern und Wandervögeln rief dies den festen Willen hervor, sich für ihr Vaterland einzusetzen.
In den Schützengräben hatten die meist bürgerlichen Wandervögel, die vor dem 1. WK in Deutschland stark präsenten gesellschaftlichen Klassen hinter sich gelassen, als sie mit Arbeitern, Bauern und Adeligen gemeinsam für ihr Vaterland kämpften. Hier ist der eigentliche Sinn des Begriffs „Volksgemeinschaft“ zu finden, den diese jungen Menschen prägten, und nicht die Nationalsozialisten. Gemeint ist eine Gesellschaft, in der nicht die Herkunft im materiellen Sinne zählt, sondern der Charakter und die Fähigkeiten eines Menschen maßgeblich sein sollen. Diese Idee wurde äußerst wichtig für die Jugendbünde der Weimarer Zeit.
Wandervögel (Bewegung aus der Jugend selbst heraus entstanden) und Pfadfinder (von Erwachsenen zur Erziehung der Jugend erdacht) kamen sich nun näher und tauschten ihre Ideen aus. Es entstanden erste Mischformen wie die Neupfadfinder oder der Bund der Wandervögel und Pfadfinder (BdWuP, später Deutsche Freischar). In diesem Zusammenspiel rückte die „Bundesidee“ im Sinne eines Ritterordens in den Mittelpunkt, so dass man von „Bündischer Jugend“ sprach. Die Idee des Ritters beeinflusste die Bünde in dem Sinne, als das es sich um einen Menschen handelt, der sein Leben unter ein höheres Gesetz stellt und sich ganz dem Dienst im Sinne dieses Gesetzes verpflichtet fühlt. Insgesamt straffte sich das Leben der Jugendbünde. Der Wandervogelkittel wich in vielen Fällen der einheitlichen Bundestracht, das Wandern wurde um das Marschieren ergänzt und im Sinne der Ordensidee wurde das Bundesleben als Dienst an Volk und Vaterland aufgefasst. Optisch spielten die Fahnen und Wimpel der Gruppen nun auch eine große Rolle. Das wichtigste Element der Bünde blieb aber die Fahrt, die abenteuerliche Wanderung in der kleinen Gruppe mit Übernachtung im Zelt oder unter freiem Himmel und dem abendlichen Lagerfeuer an dem die Gruppe zur verschworenen Gemeinschaft wurde.
Die Bünde hatten den Anspruch langfristig die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umzugestalten und so wurde das Leben im Jugendbund als Vorbereitung dafür angesehen, als Erwachsener seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen, möglichst in führenden Positionen.
Inhaltlich gab es vielfältige Entwicklungen: es entstanden völkische, monarchistische, sozialistische, heidnische und christliche Gruppierungen, die allesamt geistig sehr rege waren und auch jetzt wieder intensiv in die Gesellschaft hineinwirkten. Besonders bemerkenswert waren einzelne Bünde, die in bestimmten Bereichen weit über das normale Maß hinauswuchsen. Der Bund Artam zum Beispiel hatte sich ganz der Siedlungsidee verschrieben und bereitete seine Mitglieder gezielt auf diese Aufgabe vor. Die Idee dabei war, dass sich ein Volk nur aus dem Bauerntum heraus erneuern kann. Ein anderer interessanter Bund war der Nerother Wandervogel. Von der Ordensidee durchdrungen erwarb dieser Bund eine Burgruine im Hunsrück und baute diese zum Bundeszentrum aus. Berühmt wurden die Nerother aber vor allem für ihre abenteuerlichen Fahrten bis Asien und Südamerika, auf denen sie zum Teil auch Filme drehten, die dann in deutschen Kinos von der UFA gezeigt wurden. Nebst den Filmen brachten die Nerother auch damals schon Lieder aus aller Welt mit. In der Spätzeit der bündischen Jugend (zwischen 1929 und 1933) betraten plötzlich neue Bünde die Bühne, die äußerst elitär und vor allem weniger inhaltlich als vor allem ästhetisch ausgerichtet waren. Hier ist vor allem d.j.1.11. zu nennen, die Deutsche autonome Jungenschaft vom 1.11.1929. Hier wurde nochmals ein enorm großes kreatives Potenzial freigesetzt, welches bis heute intensiv nachwirkt. Dieser Bund hat die bis heute typische Zeltform der Jugendbewegung, die Kohte, aus einem lappischen Nomadenzelt entwickelt und die von fast allen heutigen Jugendbünden getragene Jungenschaftsjacke, eine Schlupfjacke mit drei Riegeln und einem Matrosenkragen, aus einer Matrosenjacke kreiert. Zudem war in der Jungenschaft ein großes Interesse an ursprünglichen fremden Kulturen wie z.B. Sami und Kosaken vorhanden. Viele Nachdichtungen von Kosakenliedern die noch heute gesungen werden, stammen aus dieser Gruppierung.
1933/34 endet die Geschichte der historischen Jugendbewegung, da die freien Jugendbünde von den Nationalsozialisten verboten wurden. Dies war die zweite große Zäsur in der Geschichte der Jugendbewegung. Zwischen 1934 und 1945 gab es allerdings permanent illegale bündische Gruppen, die sich dem Verbot wiedersetzten und der HJ entzogen.
Nach 1945 entstanden sehr schnell wieder Gruppen, die von ehemaligen Mitgliedern der Jugendbewegung neu gegründet wurden oder sich zumindest an die Traditionen der alten Jugendbünde anlehnten. Es wurde trotz einiger guter Entwicklungen bis in die frühen 1960er Jahre hinein nie wieder das geistige und kreative Niveau der Vorkriegszeit erreicht.
Die politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 1960er Jahre versetzten dann vielen Jugendbünden den Todesstoß, was die letzte Zäsur war.
Heute berufen sich zwar immer noch einige Jugendbünde auf die Traditionen der alten Jugendbewegung, aber das ist in den meisten Fällen sehr zweifelhaft. Nur eine ganz kleine Minderheit dieser Gruppen kann man wirklich in einer Nachfolge der alten Wandervögel sehen.